Beitrag zur AF in IF-17-1-2

Additive Fertigung: Von den Mühen der Berge zu den Mühen der Ebenen

Standortbestimmung Additive Fertigung/3D-Druck (AF) heute

Mit diesen Worten wird  häufig beschrieben, wie sich die Anforderungen bei neuen Entwicklungen verändern:  Zu Beginn, wenn noch ein weitgehend unbekanntes Land erkundet, völlig neue Wege nicht nur gefunden, sondern oft erst noch geschaffen werden müssen, dient  das Bild des Gebirges in doppelter Weise: Zum einen versperrt es den Blick nach vorn, was auch  große Unsicherheit bedeutet.  Und die Anstrengungen steiler Aufstiege fordern  die Kräfte  in hohem Maße oder sie erscheinen sogar unüberwindlich. Aber dieses Bild enthält auch das mögliche Glücksempfinden, einen solchen Berg  bezwingen und von oben einen weiten Blick auf die davor liegende Strecke werfen zu können. Diese Art von Hindernissen zu überwinden,  wird oft als die Königsklasse der Leistungsfähigkeit angesehen. Alles, was dann in der Ebene kommt, erscheint als eher leichte Kost.
Aber der Satz verrät auch, dass die Ebenen offenbar ihre eigenen Mühen haben, denen nicht  nur der heroische und damit  anfeuernde  Charakter  fehlt, sondern die z.B. in der AF vor allem dadurch mühsam sind, weil sie eine  große Beharrlichkeit bei den erforderlichen Detaillösungen und vor allem bei der sicheren Wiederholbarkeit  von Druckqualität erfordern. Dieses Element tritt bei der additiven Fertigung jetzt immer stärker in den Vordergrund. Denn von einer Garantie hinsichtlich gleicher  Qualität additiv gefertigter Produkte kann bei der zeitlich aufeinander folgenden Produktion weiterer gleicher Produkte nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Und das kann  selbst dann unsicher sein,  wenn diese Herstellung auf der gleichen Maschine erfolgt.  Und die für die Qualitätsgarantie erforderliche hohe Prozessstabilität setzt voraus, die Prozesse im Detail zu verstehen und die entscheidenden Wirkungszusammenhänge zwischen Material, Werkzeug, der Art der Bearbeitung einschließlich der  sich dabei entwickelnden Umgebungsfaktoren  wirklich zu erkennen und sie auch steuern zu können (z.B. Temperaturniveau und -intensität, Einfluss von Störfaktoren wie Rauch, Schmutz und  unterschiedliche  Anfangsbeschaffenheit plus Veränderung des Werkstoffs im Prozess in Bezug auf Korngröße, Fließfähigkeit und Reinheit des Materials usw.).
Dies sind wesentliche Aspekte der o.g. ‚Mühen der Ebenen‘ in der Additiven Fertigung, die zunehmend in den Vordergrund treten und die zeigen, dass diese neue Art der Fertigung in einen entscheidenden Reifungsprozess eintritt.
In drei besuchten Konferenzen, war der Blick zwar unterschiedlich  stark, aber immer auch auf die Probleme der Standardisierung im Sinne des Übergangs vom Rapid Prototyping zur industriellen Produktion gerichtet,  für die eine wirksame Qualitätssicherung unverzichtbar ist. Und das soll auch im Zentrum des Artikels stehen.

Steigende Bedeutung Additiver Fertigung als Treiber der Qualitätsdiskussion

Der in allen Veranstaltungen gegebene Überblick zur gegenwärtigen und der zukünftigen Entwicklung wies aus, dass die absoluten Zahlen im Vergleich zu  den Produktionswerten der klassischen zerspanenden Technik oder den Spritzgießverfahren noch marginal sind, dass der Übergang zur industriellen Entwicklung aber verdeutlicht werden kann an den Anteilswerten von Unternehmen  in den verschiedenen Branchen, die sich bisher schon mit additiver Fertigung beschäftigen oder die Absicht haben, das in den nächsten Jahren zu tun. Die größten aktuellen Anteile der in diesem Bereich aktiven Unternehmen gibt es bei der Herstellung von Kunststoffprodukten (38%), im Maschinen- und Anlagenbau (29%), der Automobil- und Luftfahrtindustrie (29%) der Pharmazie/Medizin (28%) und Elektronik (27%). Und in Bezug auf die Absichten für die nächsten Jahre steigen die Werte in der genannten Reihenfolge auf 45%, 44%, 49%, 38%, 43%.  
Dies ist der Hintergrund, aus dem heraus sich der Druck entwickelt, die Qualitätssicherung in der Produktion auf sichere Füße zu stellen. Und dies ist auch dann nötig, wenn trotz aller sich abzeichnenden Fortschritte auf absehbare Zeit die additive Fertigung  dennoch nur in der Kleinserie oder sogar in der jetzt viel zitierten „Losgröße1“ bzw. in der Formen-  und Werkzeugproduktion  oder bei der Herstellung von Ersatzteilen Anwendung finden wird.  Denn der Druck ergibt sich nicht erst aus der Massenproduktion, sondern aus dem Anspruch der Kunden auf gesicherte  Qualität bei jedem erworbenen Stück. In der Luftfahrtbranche  ergibt sich dieser Druck von zwei Seiten:

  1. den höchsten Ansprüchen auf absolute Sicherheit    
  2. den größten Kostenvorteilen aus der neuen Produktionstechnik gemessen auf Basis der Kostenerfassung über den gesamten Lebenszyklus der additiv gefertigten Produkte.

Denn die über die Gewichtseinsparung mögliche Kostensenkung  durch Reduktion des Kerosinverbrauchs kann über die gesamte Lebensdauer eines Flugzeuges von rund 30 Jahren akkumuliert werden. Deshalb ist der Druck auf gesicherte Qualität in der Luftfahrtbranche  am stärksten.

Die unterschiedlichen Felder der Qualitätsdiskussion – in der metallischen AF

Prof. Witt (Universität Duisburg/Essen) wies sowohl in Berlin als auch in Köln auf folgende „Schwachstellen" in der industriellen Entwicklung der AF hin:
In Bezug auf die Technologie: Reproduzierbarkeit, Qualitätssicherung, Prozessstabilität.
In Bezug auf Wirtschaftlichkeit: Kosten
Auch wenn die Kostenfrage nicht ausschließlich von den davor genannten Aspekten abhängt, so bestimmen  diese drei Problembereiche die Kosten in einem deutlichen Maße mit.
Die Neuheit der AF wird auch darin ersichtlich, dass es eine Vielzahl von Fehlermöglichkeiten gibt, deren Entstehung, deren Bedeutung für die Materialqualität und deren (Mit-)Verursachung durch die Parameter des Herstellungsprozesses (z.B. Höhe und Intensität des Energieeintrages) noch zu wenig erforscht sind. Im Folgenden sollen einige der wichtigsten Fehlerbereiche und die Möglichkeiten ihrer Feststellung aufgelistet werden. (Um die Lesbarkeit des Textes und eine angemessene Länge  zu erhalten wird im Folgenden nicht angeführt welcher Referent in welcher der drei Veranstaltungen zu dem jeweiligen Problem gesprochen hat. Die meisten sind auch mehrfach behandelt worden. Die folgenden Ausführungen sollen eine Zusammenfassung der in verschiedenen Beiträgen enthaltenen Überlegungen darstellen.)

Pulverqualität


Ein wichtiges Aufgabenfeld liegt im Werkstoff der additiven Fertigung. Das im Verdüsungsverfahren aus Stangenmaterial hergestellte Pulver muss aus Gründen der Fließfähigkeit innerhalb einer  relativ engen  Spanne der Korngrößen liegen und auch innerhalb dieser Grenzen eine größtmögliche Gleichheit  besitzen. Das wird aber in diesen engen Grenzen in der Regel so nicht geliefert, so dass der Anwender dies durch eigene Maßnahmen (Prüfen und Sieben der Materiallieferung) sicherstellen muss. Die dabei angewendeten Verfahren sind aufwändig und nur relativ exakt.
Da bei dem Pulverbettverfahren nur ein Teil des Materials wirklich verbaut wird, wird der nicht gebrauchte zwar von groben Verunreinigungen gesäubert. Aber das Material entspricht nicht mehr der gleichen Qualität wie in der Erstnutzung. Und selbst das Erstnutzungsmaterial kann aus dem Verdüsungsprozess heraus mit Partikeln besetzt sein (sog. Satellitenanhaftung), was die Qualität ebenfalls beeinträchtigen kann.
Diese Beeinträchtigungen können zu einer stärkeren Porosität führen, die negative Auswirkungen auf die Festigkeit  des Materials haben können.

Der Schmelzprozess  und  die Nachbearbeitung

Porosität kann auch durch nicht aufgeschmolzene  Pulverflocken herbeigeführt werden. Je nach Größe und Form solcher Fehlstellen kann sich die Gefahr von Rissbildungen ergeben, die das Material bei größeren Belastungen brüchig machen und vor allem bei dynamischer Belastung des Werkstücks Ermüdungserscheinungen hervorrufen oder zumindest beschleunigen kann.
Da sich in der Brennkammer aber auch Schmauch und angeschmolzene Metallstaubspritzer bilden, kann es zu weiteren Verunreinigungen kommen, die auch in den Produktkörper gelangen und die Qualität beeinträchtigen können.
Trotz der nach Herstellung der Produkte vorgenommenen Wärmebehandlung  bzw.  der mechanische Bearbeitung der Oberflächen können einige der genannten Beeinträchtigungen nicht sicher ausgeräumt werden.
Insgesamt sind die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Zustandsparametern (Laser- bzw. Raumtemperatur, Fließgeschwindigkeit, Verbindung  der Schichten und Erstarrung, Abkühlung usw.) noch zu wenig erforscht. 

Die Prüfmethoden

Hier liegt zurzeit nach den Aussagen vor allem auf der Kölner und der Bremer Tagung  das größte Problem in Bezug auf die Qualitätssicherung. Stand der Technik  war lange weitgehend

  1. eine zerstörende Prüfung von Einzelteilen, was aber angesichts der oben schon beschriebenen nicht garantierten Prozessstabilität keine verlässliche Aussage über die nicht geprüften Teile erlaubt.
  2. Eine CT-Untersuchung des produzierten Teils.     

Die MTU Aero Engines AG hat in mehrjährigen Untersuchungen  versucht, dieses Prüfproblem zu bearbeiten. Nach Ihrer Erfahrung können max. 60% der Fehler mit dieser Methode aufgefunden werden (Herr Dautl, Leiter ‚Fertigungstechnologie und Industrialisierung‘ auf der Kölner Konferenz). MTU hat in einem langen und teuren Prozess eine Qualitätsüberprüfung auf Basis einer optischen Tomographie entwickelt, die ihrer Meinung nach eine weit umfassendere Fehlererkennung ermöglicht. Aber allein die erforderliche umfassende Datenerhebung der zahlreichen Prozessparameter als Grundlage der  Gefahrenanalyse erforderte finanzielle Aufwendungen von 2 Mio. €
Inzwischen haben die führenden Druckerhersteller auf dieses Problem auch reagiert und versuchen ein prozessbegleitendes Fehler-Monitoring aufzubauen, z.T. kombiniert mit einem Analysetool. Das spielte in den Beiträgen sowohl von EOS als auch von SLM Solutions und in gewisser Weise auch von Additive Industries (NL) eine zunehmend bedeutendere Rolle. Es kann aber auf Basis dieser Vorträge im Moment noch nicht beurteilt werden,  inwieweit die Probleme einer systematischen Qualitätskontrolle innerhalb des ablaufenden Prozesses (in situ) soweit gelöst sind, dass sich daraus eine hohe Prozessstabilität  und damit eine eindeutige Reproduzierbarkeit einwandfreier Qualität schon erreichen lässt.
Erwähnt werden soll aber auch noch ein Diskussionsstrang in der Bremer Veranstaltung, der produktbezogene differenzierte Qualitätsniveaus einforderte, da nicht jede Anwendung die höchsten Standards der Luftfahrt- oder auch der Automobilindustrie für sich beanspruche. Aber eine solche quantitativ verringerte Anforderung benötigt auch, dass es Methoden und klare Standards gibt, die überhaupt  eine exakte Qualitätsbestimmung zu wirtschaftlichen Bedingungen erlauben.
Das wird auch weiterhin eine der großen Herausforderungen der Weiterentwicklung der AF von der disruptiven Innovation zum industriellen Stand der Technik sein.
Insofern sind die Mühen der Ebenen nicht geringer als die früheren Mühen der Berge.

  • Dr. Lutz Schröter